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Wacken Stories: Gerhard Tolksdorf
In fast 30 Jahren W:O:A kommt einiges an Geschichten zusammen – ob abgefahren, herzerwärmend, hintergründig oder einfach lustig. Diese Geschichten haben wir gesammelt und dazu mit den Leuten gesprochen, die auf oder neben dem „Wacken Holy Ground“ leben, arbeiten und feiern. Ihre Erlebnisse zeigen den besonderen Geist des Festivals, deshalb viel Spaß mit besonderen Anekdoten, die es nicht überall gibt: Hier sind die „Wacken Stories“!
Gerhard Tolksdorf (Ordnungsamt Schenefeld, Hüter der Sicherheit, Chorsänger)
„Dreimal hing das W:O:A am seidenen Faden aufgrund der Witterung“
Einer muss natürlich aufpassen, dass bei allem Rock’n’Roll Sicherheit und Ordnung gewahrt bleiben. Beim W:O:A ist das seit Anfang an Gerhard Tolksdorf, Leiter des Ordnungs- und Sozialamtes des Amtes Schenefeld. Natürlich hat er sich gewundert, als 1990 zwei Langhaarige in sein Büro stiefelten und „Party machen“ wollten…
„Irgendwann im April 1990 kamen Holger Hübner und Thomas Jensen zu mir und haben verkündet, dass sie ein Fest machen wollen: in der Kuhle in Wacken, mit einer kleinen Bühne, mal was bieten für die Jugend. Mehr als 300 Leute sollten das nicht werden, in der Größenordnung gab es damals viele Motorradtreffen auf den Dörfern. Das war eine kleine Kiste, nichts, was zu Angst und Schrecken geführt hätte. Das haben sie alles beantragt, wie es sich gehört, und ich habe auf die gesetzlichen Bestimmungen hingewiesen, die sie bedenken müssen.
Anfangs mussten sich die beiden Welten schon aneinander gewöhnen. Herr Hübner hat die Organisation selbst in die Hand genommen und gemerkt, dass das alles Geld kostet, und Geld war nicht so reichlich da. Teilweise gab es lautstarke Auseinandersetzungen zwischen Veranstalter und Ordnungsbehörde. Die ersten Jahre waren zäh, aber das wurde immer besser, und es kamen immer mehr Besucher. Irgendwann wurde die Produktionsleitung in professionelle Hände gegeben, mit Thomas Hess lief das zunehmend runder. Obwohl der ein ausgesprochener Fachmann war, musste ich mich an sein Erscheinungsbild erstmal gewöhnen. Mit Metal-Musik konnte ich nichts anfangen. Ich habe im Schulchor gesungen früher!
Eigentlich muss sich das Ordnungsamt um alles kümmern, um das Gaststättengesetz, Sprengstoffgesetz, Verkehrsrecht, Jugendschutz, Mutterschutz, Schwarzarbeit, Gewerbeordnung, Naturschutz, Umweltschutz, Baurecht. Es geht um Gefahrenabwehr und die Abwägung der Interessen von Bevölkerung und Veranstalter. Wir erlauben das Festival letztendlich oder untersagen es. Wir leben hier allerdings auf dem flachen Land, deshalb finde ich es gut, wenn was geboten wird – ob nun Metal oder das Schleswig-Holstein Musikfestival. Ich will Veranstaltungen nicht verhindern, ich bin da positiv eingestellt. Aber es gibt Spielregeln, jeder Motorradclub reicht hier einen Antrag ein, und selbst die Landjugend liefert ein Sicherheitskonzept. Dann nehme ich alle mit ins Boot, Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienst. Man muss auch die Interessen der Anwohner wahren: Die ziehen auf ein ruhiges Dorf, und dann ist da auf einmal Remmidemmi. Wir hatten in den ersten Jahren zuhauf Beschwerden von Anwohnern. Die haben die Veranstalter dann zum Gespräch eingeladen, da kamen anfangs nur drei Leute. Aber wenn jeder bereit ist, ein bisschen von seinen Vorstellungen für diese Woche abzugeben, dann findet man auch zueinander. Im Laufe der Jahre hat sich das Verständnis füreinander sehr positiv entwickelt.
Hier an der Küste gibt es allerdings schon mal Wind, Gewitter und Starkregen. Dreimal hing das W:O:A am seidenen Faden aufgrund der Witterung. Da haben die Chefs Millionen in die Hand genommen, damit es weiterläuft. Eines muss ich deutlich sagen: Ich habe ganz tolle Veranstalter, die Sicherheit vor Kommerz propagieren und das auch in die Tat umsetzen. Dafür bin dankbar, denn ich weiß, es gibt andere Veranstalter. Wenn man die Sicherheit nicht mehr garantieren kann, bleibt sonst nur noch eine Entscheidung. Es sollen ja alle Besucher gesund ankommen und gesund wieder wegfahren.
Und natürlich frage ich mich jedes Jahr ein bisschen: Was mache ich hier eigentlich mit all den verrückten Metal-Fans? Aber so wie ich das immer in den Pressekonferenzen sage, meine ich das auch: Die Fans sind eine besondere Blüte, tolle Typen. Wir haben das beste Publikum der Welt, das unterschreibe ich. Man muss sich nur mal Veranstaltungen mit 15-jährigen Teenies angucken – die Hölle. Da lobe ich mir die Metaller: Die kann man informieren, die kann man leiten, die passen aufeinander auf, und die können in der Regel auch mit Alkohol umgehen. Klar gibt es auf dem Wacken Besucher, die zu tief ins Glas schauen. Allerdings kennen sie ihre Grenzen und bedürfen keiner ärztlichen Behandlung. Die Fans sind klasse. Mit gefällt die Hilfsbereitschaft untereinander und auch deren Aufgeschlossenheit gegenüber Behörden und hier insbesondere der Polizei. Die Beamten gehen in Uniform über die Flächen und werden abgefeiert, Fotos werden gemacht. Auf manch anderen Veranstaltungen sieht das leider nicht so aus: Da wird die Polizei dann nicht als Freund und Helfer, sondern als Störenfried betrachtet. Die schönste Beschwerde kam übrigens mal wegen Ruhestörung. Da rief einer an und meinte, der Krach sei nicht auszuhalten. Wir haben gefragt: ‚Wo sind Sie denn?’ Die Antwort: ‚Auf Campingplatz C‘. Das fand ich klasse.
Herr Hübner und Herr Jensen haben immer neue Ideen, etwa die Seelsorger. Ich habe damals gefragt, was der Quatsch soll, aber die sind toll. Die Seelsorger nehmen den Sanitätern ganz viel Arbeit ab, das hat einen echten praktischen Nutzen. Total geil. Über solche Ideen sprechen wir dann viel im Vorfeld, dafür bin ich dankbar. So stellen sie mitunter gar nicht erst einen Antrag, den ich dann negativ bescheiden muss. Da wir schon 30 Jahre zusammenarbeiten, erkennt man frühzeitig Problemsituationen.
Einmal sind die Scorpions aus Hannover am Donnerstag aufgetreten. Bis Mitternacht war das Bespielen der Bühne genehmigt. Aber es gab technische Probleme, und es wurde ein Video aufgezeichnet, also musste länger gespielt werden. Schon 30 Minuten vor Schluss kam Herr Hübner zu mir und kümmerte sich sehr um mein Wohlergehen. Er holte mir eine Tasse Kaffee und meinte dann in einem Nebensatz: ‚Wir müssen mal schnell reden…‘ Ich wusste schon, wo sein Problem lag, aber ich habe seine Fürsorge sehr genossen und das Spiel gerne mitgemacht. Natürlich war mir klar, dass man die Darbietung nicht um 24 Uhr abbrechen kann. Da darf es dann schon mal zehn Minuten länger gehen, und dafür habe ich dann auch Verständnis. Bisher haben wir für alle Probleme immer eine adäquate Lösung finden können.“
Gerhard Tolksdorf Wunsch für das 30. W:O:A, wenn alles möglich wäre:
„Was Bands angeht, bin ich ziemlich schmerzfrei. Ich wünsche mir lieber den Thomas Hess zurück (der 2018 unerwartet verstarb - Anm.d.Red.), der hat schon ganz schön gefehlt. Wir kennen uns 20 Jahre und sind Freunde geworden. Von dem habe ich ganz viel gelernt und er auch von mir. Sein Verlust konnte in diesem Jahr allerdings gut abgefangen werden. Die neuen Verantwortlichen haben hervorragende Arbeit geleistet, so dass alles gut geklappt hat, was natürlich zum Teil auch dem guten Wetter geschuldet war.“
Text: Christof Leim
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